Der Kreistag möge beschließen:
1. Es soll ein Gutachten eines externen Sachverständigen eingeholt werden, welches zum einen die Verteilung der kommunalen Zuständigkeiten von Stadt und Landkreis Göttingen insbesondere in den Aufgabenfeldern Regional- und Verkehrsplanung, KFZ-Zulassung, Wirtschaftsförderung, Regionalmarketing, Schule und Soziales sowie Gesundheit und zum anderen die Finanzbeziehungen von Stadt und Landkreis Göttingen mit Blick auf § 169 NKomVG beschreibt und evaluiert.
2. Im Haushalt des Landkreises Göttingen für 2022 werden die Kosten des Sachverständigengutachtens mit 100.000€ etatisiert.
Begründung:
Die Stadt Göttingen gehört dem Landkreis Göttingen an. Gleichzeitig sind die für kreisfreie Städte geltenden Vorschriften auf die Stadt Göttingen anzuwenden, sofern durch Rechtsvorschrift nichts anderes bestimmt ist. (§ 16 NKomVG).
Schon 2010 stellte Professor Dr. Dr. h.c. Joachim Jens Hesse in seinem von dem Land Niedersachsen in Auftrag gegebenen Gutachten „Kommunalstrukturen in Niedersachsen“ für Südniedersachsen fest, dass „angesichts zunehmend verdichteter kommunaler und vor allem ökonomisch ausgerichteter Kooperationsstrukturen … der Raum einen hohen Grad an Regionalisierung unterschiedlicher fachlich-sektoraler Aufgaben- und Themenfelder erreicht“ hatte. Hesse analysierte ferner: „Diese unterschiedlichen Netzwerke agieren allerdings vielfach nebeneinander und konkurrieren auf unterschiedlichen Ebenen. Jedem einzelnen Netzwerk fehlt es für sich an hinreichender Entscheidungskompetenz und Ressourcen“.
Zudem befand der Sachverständige: „Ein weiteres Problem findet sich in diesem Raum mit
Blick auf das Oberzentrum Göttingen und die hier erkennbare Stadt-Umland-Abstimmung.
Dies verweist auf den Sonderstatus Göttingens nach dem Göttingen-Gesetz von 1964; zudem ist die Stadt Träger der Regionalplanung“ (Zitate aus den Ausführungen zu 9.4.2. Südniedersachsen – Region Göttingen, S. 289 ff.)
Von den von dem Sachverständigen damals ins Spiel gebrachten Handlungsoptionen ist
zum einen die Fusion des Landkreises Göttingen mit Osterode und zum anderen in Übereinstimmung mit den Befunden des Sachverständigen die Auflösung des Regionalverbandes Südniedersachsen mit Stärkung der Südniedersachsenstiftung umgesetzt worden.
Allerdings: der Sachverständige Hesse forderte 2010 für Südniedersachsen auch eine „Stärkung der Verbandsstruktur in der Region Göttingen durch die Schaffung eines Zweckverbandes für Regionalplanung oder eines Verbandes für Regionalplanung und Regionalentwicklung“. Diese Forderung ist mit Blick auf den aktuellen Status der kommunalen Strukturen in Südniedersachsen eher unrealistisch. Im Binnenverhältnis des Landkreises Göttingen ist nun aber die Aufteilung der Zuständigkeiten in der Regionalplanung zwischen der Stadt Göttingen und dem Landkreis einer kritischen Evaluation zuzuführen, zumal sich viele offene Fragen aus der laufenden Erarbeitung des Regionalen Raumordnungsprogramms ergeben, bei denen das Gebiet der Stadt Göttingen, des doch stark dominierenden Oberzentrums, gerade nicht zum Plangebiet gehört.
Neben der Regional- und Verkehrsplanung sind unseres Erachtens von den im Antrag genannten Bereichen einerseits die geteilten Zuständigkeiten mit Blick auf die Verteilung der Schulträgerschaft der Stadt Göttingen für die weiterführenden Schulen mit Ausnahme der berufsbildenden Schulen einschließlich der Schulentwicklungsplanung und andererseits der Bereich des Gesundheitsschutzes sowie die geteilten Zuständigkeiten im Sozialbereich für den Bereich der Jobcenter (Grundsicherung nach dem SGB II) zu untersuchen und zu bewerten. Es sollen Wege aufgezeigt werden, wie die Stadt und der Landkreis Göttingen enger und effizienter zusammenwirken können, um Synergieeffekte zu erzielen und das Verwaltungshandeln hindernde Doppelzuständigkeiten aufzuheben.
Nicht zuletzt kommt den Regelungen der Finanzbeziehungen zwischen der Stadt und dem
Landkreis Göttingen im Rahmen der angestrebten Organisationsuntersuchung eine weitere besondere Bedeutung zu. In Kenntnis des Umstandes, dass aufgrund einer geänderten Struktur der Finanzierung der Kommunen die Vorschriften des § 169 NKomVG alsbald auf dem Prüfstand stehen, sollte hier frühzeitig eine wissenschaftliche Bewertung eingeholt wer-den, um Verhandlungspositionen zu unterbinden, die sich primär an Sachargumenten und nicht an der jeweiligen allgemeinen Haushaltslage zum Zeitpunkt der Entscheidung ausrichten.
Unseres Erachtens ist es schließlich geboten, nicht allein der Ministerialbürokratie die Evaluation zu überlassen, wobei das für Inneres zuständige Ministerium nach Maßgabe des § 169 VIII NKomVG nur einen inhaltlich begrenzten Auftrag für 2024 hat. Denn es soll im Jahr 2024 nur „auf Grundlage der Verhältnisse in den Jahren 2020 bis 2023 sowie unter Berücksichtigung des Ergebnisses der Überprüfung durch den Gemeinsamen Ausschuss nach § 28 Abs. 2 Nds. AG SGB IX/XII die Auswirkungen des Niedersächsischen Gesetzes zur Ausführung des Neunten und des Zwölften Buchs des Sozialgesetzbuchs auf die finanziellen Beziehungen zwischen dem Landkreis Göttingen und der Stadt Göttingen“ überprüfen, ob die Regelungen des § 169 NKomVG noch zeitgemäß d.h. interessengerecht sind.
Gez. Harm Adam, stv. Fraktionsvorsitzender und Finanzpolitischer Sprecher